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"LOS VON ROM"

Südtirol, ein Land mit einer Geschichte voller Unterdrückung und Leid, ausgelöst durch politische Entscheidungen, über die Köpfe der Bevölkerung hinweg. Viel Unrecht ist geschehen, Tod und Gewalt prägten lange Zeit den Alltag der Menschen. Hart waren die Verhandlungen, die um 1970 Frieden brachten. Einen Frieden, der nun über einige Jahrzehnte andauert. Im Land ist man sich nähergekommen, die Menschen verschiedener Sprachgruppen leben nebeneinander und miteinander, seltener gegeneinander. Die Gewalt hat glücklicherweise ein Ende gefunden. Dennoch gibt es Kräfte in diesem Land, die keine Gelegenheit auslassen, um Unterschiede herauszustreichen und mit Nationalismen Unfrieden zu stiften und Zwietracht zu säen. So geschehen in diesen Tagen, als auf einigen Bergen Südtirols in lodernden Lettern Parolen, wie eben „Los von Rom“, geschrieben standen. Als ich mich auf Twitter dagegenstellte, erntete ich teilweise Hohn und Beschimpfungen. 



Zum besseren Verständnis lege ich diesen Text nach.

Die Geschichte Südtirols ist bewegt und vom Leid unzähliger Menschen geprägt. Aber sie ist auch eine Erfolgsgeschichte. Unserem Volk wurde nach 1919 mit Gewalt eine Identität aufgezwungen, die ihm nicht zu eigen war. Eine Gewalt, die wiederum Gegengewalt auslöste. Sie kostete in der Folge Menschenleben, erzeugte Hass und mündete in einer Spirale von weiterer Gewalt. Ein Teil seiner Bevölkerung lehnte sich auf gegen eine Besatzungsmacht, die ihrerseits kaum Rücksicht auf Charakter und Eigenheiten der Unterworfenen aufbrachte. Jahrzehnte waren so geprägt von gegenseitigem Misstrauen, ab 1957 durchzogen von Attentaten, Terror und dessen Bekämpfung. Als aber politische Lösungen erzielt werden konnten und immer mehr Menschen die Vorteile erkannten, die daraus erwuchsen, ließen Kampf und Gewalt nach. 

So begann man seit Mitte der Siebzigerjahre die bereits seit einiger Zeit bestehende nachbarschaftliche Beziehung zwischen Einheimischen und Italienern zu bessern und Austausch zu pflegen. Verbindungen zwischenmenschlicher und wirtschaftlicher Natur, haben vielerorts die Grenzen zwischen den Sprachgruppen durchlässiger gestaltet und die Bevölkerung einander angenähert. Südtirol hat gelernt, wie schon in den Jahrhunderten davor, von seiner geografischen Lage als Brücke zu profitieren. Viele schätzen die kulturelle Begegnung, mancher profitiert vom wirtschaftlichen Austausch vom Tourismus bis zur Landwirtschaft und wohl kaum jemand will heute die Zusammenarbeit und Nachbarschaft missen.

Dennoch verspürt auch Südtirol als nördlichste Provinz Italiens die negativen Auswirkungen eines Staates, dessen Strukturen angeschlagen, zum Teil tief marode sind. Italien ist belastet von einer enormen Verschuldung, einem ineffizienten und aufgeblähten Verwaltungsapparat, von Bürokratie und Gesetzesflut und einem hohen Korruptionsanteil. Mitgehangen, mit gefangen, möchte man meinen    stecken wir in der Falle?

Aber dem ist nicht ganz so, Südtirol ist nicht in italienischer Geiselhaft, geknechtet und ausgeliefert. Denn der Erfolg des Friedensprojektes Südtirol liegt in der hart ausgehandelten und trotz mancher Rückschläge immer wieder verbesserten Autonomie des Landes. Das Zweite Statut ist 25 Jahre nach Kriegsende zwischen der politischen Führung der Südtiroler Bevölkerung und der Regierung in Rom mühsam errungen worden. Im Laufe der Jahre wurde es vertieft und von Seiten der Südtiroler Politik und Bürger mit Argusaugen überwacht und entsprechend verteidigt, oft in harter Auseinandersetzung gegen römischen Zentralismus. Aber auch vielfach unterstützt durch italienische Politiker guten Willens von Moro bis Gentiloni. Unter dem Strich kann sich die Südtiroler Autonomie im internationalen Vergleich sehen lassen, trotz mancher Schwächen. Sie schafft der einheimischen Bevölkerung so viel Gestaltungsspielraum, wie sie in anderen föderalen Regierungsformen üblich sind und geht sogar weit darüber hinaus. 

Dennoch gibt es immer noch Kräfte, deren Bestreben es ist, den jahrzehntelangen, mühsam hergestellten Frieden zu torpedieren. An der Autonomie sägen Bewegungen und Parteien der italienischen Rechten. Aber auch auf Südtiroler Seiten gibt es Parteien und Vereinigungen, die nicht Frieden wünschen, sondern Kampf.  Die Unterschiede zwischen Südtirolern und „den Anderen“ betonen, nur die Nachteile der Autonomie unterstreichen, dabei die Argumente der Heimatliebe bemühen und die Möglichkeit von Ausgleich und Verständigung ablehnen. Mit dem Bestreben, den Unfrieden zwischen den Volksgruppen erneut aufflammen zu lassen.

Viele Ältere von uns erinnern sich noch an die Zeit, als Explosionen das Land erschütterten, Militär und Polizei omnipräsent waren, ihrerseits Gewalt ausübten und Menschenrechte verletzten. Die Atmosphäre im Land war geprägt von einer Grundnervosität, in der niemand vorhersehen konnte, welche Seite den nächsten Schritt tun würde, was die Folgen für die Bevölkerung sein könnten. Es herrschte ein Klima der Angst, und zwar auf beiden Seiten. Unvergesslich bleibt, wie nach den Anschlägen auf die Wasserhochdruckleitung bei Lana und den Schüssen auf die Carabinierikaserne von Tscherms im Jahr 1988 die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung massiv eingeschränkt wurde. Wochenlang waren Fahrzeugkontrollen die Regel, das Straßenbild prägten bewaffnete Polizeipatrouillen. Die Exekutive stoppten jeden, der die Checkpoints passierte, ließ Kofferräume öffnen, sich deren Inhalt zeigen. Der nervöse Finger des Polizisten am Anschlag der Maschinenpistole, sorgte damals in manchem Augenblick für mehr als nur für ein mulmiges Gefühl. Eine Zeit der Angst und der Bedrohung, die man sich nicht so schnell wieder herbeiwünschen würde.

Viele Jahre sind inzwischen vergangen und wie gesagt, man hat sich arrangiert, kann mit den Gegensätzen umgehen. Für immer mehr Südtiroler sind die „Walschen“ nicht mehr jene Italiener, die unsere fremden Nachbarn sind, sondern fast Ihresgleichen. Viele Italiener, die bereits in dritter Generation oder länger, in Südtirol leben, sind Freunde der Altoatesini und deren Eigenheiten. Beide Seiten sehen sich als Bürger unseres Landes mit der etwas besonderen Note, vor allem aber als Europäer. Man hat gelernt, nicht nur miteinander auszukommen, sondern sich zu schätzen und voneinander zu profitieren. Was jedoch vielen, vor allem jüngeren Menschen, nicht bewusst zu sein scheint, ist, dass der Boden des Friedens nur sehr dünn ist. Rasch können Aktionen, die Grenzen fordern, Unterschiede hervorheben, zwischen Italien und seiner Autonomen Provinz, wieder zu Umständen führen, die wir als längst überwunden glauben. Deshalb bitte lasst nicht zu, dass dieses fragile Gleichgewicht aus den Fugen gerät. Der erreichte Friede, die Autonomie und ihre Früchte sind zu wertvoll, das Selbstbewusstsein vieler Südtiroler als erfolgreiche Minderheit zwischen den Staaten ebenso gefestigt wie ihre Kultur. Wir zeigen, was eine Region und ihre Bürger in Europa heute leisten können und gehen trotz staatlicher Einengung unseren eigenen Weg in die Zukunft.

(Vielen Dank für den konstruktiven Beitrag von @hans_heiss)

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