Ihr kennt das auch? Man trifft jemanden, den man vielleicht schon lange kennt, man ist befreundet, hat sich jedoch schon seit einer Weile nicht mehr ausgetauscht, sagen wir mal, seit Beginn der Pandemie. Man trifft also auf diesen Jemand oder hört sich wieder einmal und bewusst oder unterbewusst schwingt die Unsicherheit mit, eine ganz konkrete Thematik betreffend: Wie steht das Gegenüber zur Frage der aktuellen Gesundheitskrise? Ich muss gestehen, seit dem Winter 2020 hatte ich einige Enttäuschungen zu verkraften. Menschen, die ich bis zu jenem Zeitpunkt für weise und weitsichtig eingeschätzt hatte, stellten sich als verbohrt, engstirnig und unfähig heraus, einen Diskurs zu führen, gar Argumente zu akzeptieren. Recht bald habe ich gelernt, dass es besser ist, das Thema „Pandemie“ einfach zu ignorieren, um sich auf das zu konzentrieren, was einen bis zu jenem Zeitpunkt verbunden hat. Irgendwann, so sage ich mir, wird dieser ganze Spuk der Vergangenheit angehören, das Thema kann abgehakt werden und das, was zwischen diesen Menschen und mir zu stehen scheint, rückt wieder in den Hintergrund. Vorstellen kann ich mir das im Moment jedoch schwer, denn da wird immer ein Makel zurückbleiben. Etwa so, wie wenn man sich als Kind in seine Lieblingshose ein Loch gerissen hätte und die Mutter einen Flick darüber genäht hat. Die Hose wäre zwar wieder brauchbar gewesen, der Flick jedoch hätte einen jedoch immer und immer an das Loch dahinter erinnert.
Mit solchen Erlebnissen stellt sich immer wieder auch die Frage, was mit diesen Menschen los ist, was sie so denken und handeln lässt. Mittlerweile haben Wissenschaftler begonnen, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen und versucht, diese Individuen Kategorien zuzuordnen. Sind es Rechtsradikale, Grüne, Esoteriker oder Reichsbürger? Sind es die Armen, die Reicheren, sind diese Menschen etwa vermehrt aus der Mittelschicht oder aber jene, die sich abgehängt fühlen? Welche Altersgruppe und welches Geschlecht ist dominant? Zunehmend stellt sich heraus, dass es fast unmöglich ist, sie einer bereits bekannten Gruppierung zuzuordnen. Eine Tatsache, die uns deshalb Schwierigkeiten bereitet, weil wir Menschen mit Lücken schlecht leben können und wir jeden und alles irgendwie kategorisieren müssen. Es hat sich der Begriff der „Querdenker“ herausgebildet, den sich führende Köpfe dieser Bewegung selbst als Etikett aufgedrückt haben. Das Adverb „quer“ steht in diesem Falle für „gegen den Mainstream“ und somit, gegen das, was das sogenannte Establishment, die Eliten vorgeben.
Es ist nichts Neues, dass Menschen sich gegen das auflehnen, was Regierungen ihnen auferlegen. Im Laufe der Geschichte kam es immer wieder zu Aufständen, Revolutionen und gar Kriegen, wenn sich Menschen ungerecht oder falsch behandelt fühlten und in der Konsequenz nach Veränderung strebten. Dies kann auch hier ein Auslöser sein. Die Pandemie ist dabei nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Sie ist für viele die Initialzündung, welche ihnen endlich „die Augen geöffnet hat“, sie dazu antreibt, all das nicht mehr hinnehmen zu wollen.
Das zweite Wort im Begriff „Querdenker“, nämlich das Denken ist es, was das eigentliche Problem darstellt. Denken nämlich ist eine dem Menschen ureigene Eigenschaft. Kein Lebewesen auf diesem Planeten kann denken, wie unsere Spezies es tut. Wir denken in jeder Sekunde unseres Daseins und können dies auf vielfältigste Weise. Es ist die Fähigkeit des Denkens, die uns an die Spitze der Nahrungskette katapultiert hat, uns das Leben ermöglicht, das wir heute führen und vielleicht bedeutet diese sogar irgendwann einmal unseren Untergang. Womöglich ist gerade die Tatsache, dass wir denken können, eine Sackgasse in der Evolution des Homo Sapiens. Denken ermöglicht es uns, das angeeignete Wissen einzuordnen, um es wiederum entsprechend abzurufen und einzusetzen. Wie wir das tun, liegt vor allem daran, wie wir etwas, das ja aus unzähligen mehr oder weniger großen und losen Fragmenten besteht, in Zusammenhang stellen. Genau da nämlich liegt der Hund begraben. Das Erstellen von richtigen Zusammenhängen ist es, an dem die sogenannten „Querdenker“ scheitern. Ein intelligenter Mensch lernt, indem er sein Wissen nach und nach erweitert und es zu verknüpfen versucht. Dann erst gelingt es ihm, dieses Wissen sinnvoll anzuwenden. Dieser Prozess jedoch setzt ein ständiges Hinterfragen voraus und die notwendige Flexibilität, Verknüpfungen allenfalls wieder zu lösen, um diese abermals, mit anderem Wissen zu verbinden. Zum einen jedoch ist die Aneignung von richtigem Wissen mit einem teils enormen Aufwand verbunden, den nicht alle betreiben wollen und zum anderen erkennt man nicht immer sofort, dass Zusammenhänge falsch erstellt wurden. Manchmal wird einem spät oder gar nicht bewusst, dass man sich mental in einer Sackgasse befindet. Vielleicht lässt hie und da auch der eigene Stolz nicht zu, sich einzugestehen, dass man falsch liegen könnte. Lieber weiter nach Beweisen schürfen, die den eigenen Irrglauben bestärken. Das psychologische Phänomen dahinter nennt sich kognitive Verzerrung oder Bestätigungsfehler. Informationen werden entsprechend selektiert, damit sie die eigene Meinung, das Weltbild verstärken und bestätigen. Eine Tatsache, die erklärt, warum man im Diskurs mit Betroffenen zumeist scheitert. Der Versuch, ihnen mit Argumenten näher zu kommen, fruchtet in der Regel kaum. Verfügen diese über eine bereits gefestigte Meinung, sind sie nicht mehr mit logischer, eventuell sogar wissenschaftlich fundierter Argumentation zu erreichen. Für einen selbst endet ein solcher Überzeugungsversuch oft sehr enttäuschend und in tiefem Frust.
Ist also am Begriff „Covidiot“ doch etwas dran, wollte man für diese Art von Zeitgenossen einen Begriff prägen? Gemäß Definition bezeichnet man mit „Idiot“ einen dummen Menschen. Natürlich kann man einen Menschen als dumm bezeichnen, der sich am Höhepunkt einer Pandemie mit tausenden Gleichgesinnten in eine Menge stellt, um Parolen zu brüllen. Wem jedoch das Wissen, bzw. das Bewusstsein für sein Tun fehlt, der ist nicht dumm. Geisterfahrer sind selten Idioten. Was man aber immer und ausnahmslos feststellen kann, wenn man sich die Argumentation von sogenannten „Querdenkern“ zu Gemüte führt ist, es fehlt ihnen, bis auf wenige Ausnahmen, durchwegs die Fähigkeit Zusammenhänge richtig zu erstellen. Sie können Dinge, Ereignisse, Aussagen, Wissen nicht oder nur partiell, in den richtigen Kontext stellen. Wer etwa den Staatsorganen gegenüber eher skeptisch eingestellt ist, sieht sich in seinem Denken bestätigt, wenn Regierungen, zum Beispiel bei den Maßnahmen im Zuge der Pandemiebekämpfung, einmal falsch liegen oder über die Stränge schlagen. Bei vielen ist ein Grundskepsis vorhanden, was per se nichts Schlechtes ist, sie unterlassen es jedoch, in dieser Situation zu differenzieren. Was sie mit Populisten, Ausländerfeinden, Rassisten und Antisemiten gemeinsam haben, auch wenn sie selbst keiner dieser Gruppe angehören mögen.
Meines Erachtens wäre
der Ansatz einer Erklärung dafür, warum Menschen verschiedenen Alters,
Geschlechts, politischer Ausrichtung und aus diversen Bevölkerungsschichten, sich
der Existenz einer Pandemie in solch radikalem Ausmaß verweigern, folgender.
Wie bereits angedeutet fehlt ihnen zum einen oft die Wissensbasis, zum anderen
die Fähigkeit, Informationen zu verknüpfen. Mit Schuld kann aber auch die Nachrichtenflut
sein, der wir heute ausgesetzt sind und die uns täglich aufs Neue fordert. Wir sind
gezwungen zu analysieren, hinterfragen, auszusortieren und zu entscheiden. Vieles
müssen wir intuitiv als richtig oder falsch klassifizieren, da uns die Zeit fehlt,
uns das entsprechende Expertenwissen anzueignen. Intuition, oder vereinfacht ausgedrückt,
das Bauchgefühl ist nicht immer ein guter Ratgeber. Es strengt an, sich der
Komplexität unserer heutigen Welt wieder und wieder zu stellen. Das bedeutet,
sich jeden Tag aufs Neue in diesen Tsunami an Meldungen, Schlagzeilen, Artikeln,
Statistiken zu stürzen, um zu selektieren, was der Realität entsprechen, was
wahr sein könnte und was man besser im Mistkübel der Geschichte entsorgen
sollte. Ein Prozess, der uns ermatten lässt, der uns auslaugt. Menschen aus
anderen Ländern, die man womöglich unmittelbar an ihrer Kleidung, dem Akzent oder der Hautfarbe
erkennt, Geflüchtete, mit ihnen ist man gezwungen sich auseinandersetzten.
Diese sind plastisch, greifbar, nicht wegzuleugnen. Sie lassen sich hassen oder
aber man steht ihnen empathisch gegenüber. Auf die eine oder andere Art werden
wir diesbezüglich zur Konfrontation gezwungen, da kommen wir nicht drum herum. Anders verhält es sich bei einem Virus, das weder sichtbar noch
unmittelbar spürbar ist. Eine Pandemie lässt sich leichter leugnen, wenn man
nicht direkt davon betroffen ist. Wer niemanden kennt, der im Gesundheitswesen
tätig ist, oder der sich infiziert und einen schweren Krankheitsverlauf zu
bewältigen hat, der gar an der Infektion mit dem Virus gestorben ist, der zieht die Existenz einer Gefahr viel leichter in Zweifel. Das grundsätzliche Misstrauen in Staat, seine Institutionen, die Medien findet immer wieder neue Nahrung und Bestätigung. Es wird eine Perfektion, eine Unfehlbarkeit erwartet, die nicht existieren kann. Es wird vergessen, dass alles menschengemacht ist, was eine gewisse Fehlerhaftigkeit und Anfälligkeit in diesen Systeme impliziert. Weil es immer wieder bestechliche und korrumpierbare Politiker gibt, ist nicht der ganze Politikbetrieb korrupt. Weil Medien in der Meldungsvielfalt nicht immer exakt den Vorstellungen des Individuums entsprechen, was vielleicht die Schwerpunkte angeht, sind diese nicht immer auf Manipulation aus oder von einigen wenigen gesteuert. Jedem steht frei zu vergleichen und sich aus mehreren Quellen zu versorgen. Eine Möglichkeit, die es nie vorher in der Geschichte der Menschheit so gegeben hat. Die Einteilung in gut und böse, in richtig oder falsch, kann nicht erfolgen. Medienimperien sind Unternehmen und deren Existenz basiert auf finanziellem Erfolg. Kaum ein Medium transportiert Informationen aus reinem Idealismus heraus, es besteht immer auch hauptsächlich die Absicht, Profit herauszuschlagen. Entsprechend werden Informationen aufbereitet und Schwerpunkte gesetzt. So entsteht etwa auch der Eindruck, Medien würden in Pandemiezeiten Panik schüren, wenn im Minutenrhythmus Statistiken zum Krisengeschehen in Menschenköpfe getrichtert werden. Dass es sich dabei jedoch um eine gezielte Vermarktung von Informationen handelt, welche vom Konsumenten genauso gewollt ist, das wird meist vergessen. Hier wird nämlich nichts dem Zufall überlassen. Was wir erfahren wollen, wie das passieren soll und wie oft das der Fall ist, wird von Markt- und Konsumforschern über Algorithmen im Detail und in Echtzeit bestimmt und schlussendlich von uns selbst, durch unser eigenes Verhalten gesteuert. Wir sind es, die mit Klicks und Views die Pace vorgeben. Was keinen interessiert, verschwindet sofort wieder in der Versenkung. Unsere Medien sind der Spiegel ihrer Konsumenten. Jedes Medium hat dabei seine Nische. Da gibt es den Boulevard für die Masse derer, denen Schlagzeilen und vage Phrasen reichen oder etwa das Feuilleton für Gebildetere, mit einem anderen Bedürfnis von Information. Wird letztere jedoch zu kompliziert, ist ihr die Skepsis der Massen gewiss.
Was ist nun aber mit den Professoren, den Ärzten und Anwälten, den Intellektuellen, von denen sich einige ebenfalls zur sogenannten „Querdenker-Bewegung“ zählen, welche diese sogar ins Leben gerufen haben, sie teilweise anführen und ihr immer wieder neue Nahrung zuführen? Wer glaubt, all diese Berufsgruppen seinen frei von menschlichen Schwächen, der muss ein Stück weit sehr naiv sein. Warum sollen all sie, zu denen wir tendieren aufzuschauen, frei sein von Denkfehlern und darin, wie sie Zusammenhänge verknüpfen? Warum sollen auch sie nicht den Drang verspüren, dem Zuspruch einer enormen Menschenmenge zu verfallen? Wer sagt, dass eben diese nicht unter narzisstischen Persönlichkeitsstörungen leiden können oder aber schlicht süchtig nach Klicks, Likes oder auch dem Mammon sind, welche sie durch ihr Tun generieren? Es gibt so viele Gründe, die Menschen dazu bringen, vom geraden Pfad abzuweichen, um sich auf irgendwelche Irrwege zu begeben. Entzaubern kann man solche vermeintlichen Lichtgestalten leicht. Bis heute haben sich Individualisten nur in den seltensten Fällen als diejenigen entpuppt, die richtig lagen. Speziell in der Wissenschaft kann man davon ausgehen, dass die kleine Gruppierung, mit irgendwelchen verquerten Behauptungen falsch liegt, wenn die große Masse, von etwas anderem überzeugt ist. In der Regel ist es sicher nicht schlecht zu hinterfragen, was der Mainstream denkt und tut. Handelt es sich aber um wissenschaftliche Fakten, ist es ratsamer, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen. Alles andere wäre Irrsinn. Im Falle eines potenziell letalen Virus, das sich mit all seinen Mutationen in rasanter Geschwindigkeit über den Globus verbreitet, ist es sicherlich grob fahrlässig, wenn nicht tödlich, sich den Luxus des Querdenkens zu erlauben. Es steht zu viel auf dem Spiel, zu viele Menschenleben sind in Gefahr.
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