Grundsätzlich ist es sicher richtig, der Konflikt wird durch Waffenlieferungen in die Länge gezogen und somit auch Leid, Elend und Tod. Welches sind die Argumente für oder gegen Waffenlieferungen, wie sehen Alternativen aus, welches könnten die Konsequenzen sein?
Wie
meistens, so ist auch dies ein sehr komplexes Thema, das sehr
differenzierte Sichtweisen verlangt. Vieles kann nur vermutet, erahnt
werden. Darum erst mal die Fakten.
Entgegen vielen Behauptungen, das Verhalten des Westens, die NATO betreffend, man hätte Russland keine Wahl gelassen, hätte es in den Krieg getrieben, stimmt nicht. Das Gegenteil war der Fall. Immer wieder macht die Mär von einem angeblichen Versprechen des Westens gegenüber Gorbatschows die Runde, welches ihm im Zuge der Verhandlungen bezüglich der deutschen Wiedervereinigung, gegeben worden sei. "Keinen Zoll ostwärts", solle sich die NATO ausdehnen. Dass ein Versprechen von solcher Bedeutung nicht den Eingang in den sogenannten 2+4-Vertrag gefunden hat, sollte stutzig machen. Auch die Tatsache, dass eine Zusage von dieser Tragweite, über die Köpfe vieler souveräner Staaten hinweg und automatisch deren im Völkerrecht festgeschriebene Bündnisfreiheit aushebeln würde, scheint nur wenige zu stören. Ein solches Versprechen also, hat es nie gegeben. Was natürlich von der russischen Propagandamaschinerie anders dargestellt wird.
Nach dem Ende des Kalten Krieges, hatten alle Länder der ehemaligen Sowjetunion, außer Russland, ihre Nuklearwaffen verschrottet. „Die USA und die Nato-Staaten hatten zunächst einmal dafür gesorgt, dass Russland die einzige verbleibende Atommacht der ehemaligen Sowjet-Nachfolgestaaten blieb. Die Ukraine und Kasachstan übergaben ihre Atomwaffen an Moskau, das außerdem noch 9 Milliarden Dollar von den USA für die Verschrottung dieser Waffen bekam“ (Christoph Brumme, NZZ, 24.04.2022, 05.30 Uhr). Weiter wurde Russland, mit der am 27. Mai 1997 in Paris unterzeichneten „NATO-Russland-Grundakte“, zu einer Art Premiumpartner der NATO gemacht. Bei der NATO wiederum, entstanden aus den Lehren, welche man aus den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege gezogen hatte, handelt es sich um ein Bündnis zur Erhaltung des Friedens und nicht um einen Zusammenschluss von Staaten, mit dem Bestreben nach Macht und der Verfolgung von nationalistischen Interessen.
Anders in Russland, wo unter Langzeitherrscher Putin, nie ein Hehl daraus gemacht wurde, was man vom Westen hält, welche Ziele innen- sowie außenpolitisch verfolgt werden. Dass das Zementieren einer Diktatur, wie es Putin seit seinem Amtsantritt sukzessive betrieben hat, mit den Werten westlicher Demokratien nur unschwer zu vereinbaren sein kann, ist Fakt. Im umgekehrten Sinne, würde das Bestreben des russischen Volkes, nach eben diesen westlichen Werten, kaum mit den Interessen des Kremls übereinstimmen. Dem russischen Machtapparat ist es nie darum gegangen, einen Staat der Gleichheit, der Gerechtigkeit und des Wohlstandes, nach Vorbild vieler mitteleuropäischer Länder, aufzubauen. Man hatte sich darauf beschränkt, "glitzernde Inseln" zu schaffen, die nach außen den Schein eines modernen und offenen Staates wahren sollten. Wer etwa Moskau oder St Petersburg besucht, hat den Eindruck, sich in einer ganz normalen westlichen Stadt zu befinden. Man vergisst dabei leicht, dass es sich hier um eine Art potemkinsche Dörfer handelt, die nicht das wirkliche Russland widerspiegeln. Denn abseits von einem verschwindend kleinen Mittelstand, der in den Genuss von Läden mit westlichen Konsumgütern und Internet gelangt, gibt es einen überwältigenden Anteil des russischen Volkes, der in bitterer Armut gehalten wird. Dies, während Milliarden des russischen Staatshaushaltes in Rüstungsgüter gesteckt werden, oder das Geld mit System, in den Taschen korrupter Oligarchen verschwindet.
Eine solche diktatorische Kleptokratie kann nur dadurch überleben, indem man den Menschen weismacht, sie würden Teil eines wunderbaren großen Ganzen sein, möglichst gottgewollt, in einen besonderen und elitären Status erhoben. Im Gegensatz dazu würde ein dekadenter und stets aggressiver Feind danach trachten, dieses höhere Volk zu erobern oder gar ganz auszulöschen. Diese Art der Propaganda, ist Teil der russischen Kommunikation, welche seit Jahrzehnten betrieben wird und nicht erst, seit es zum Konflikt in der Ukraine gekommen war. Die irrationale Angst vor einer Bedrohung durch den Westen, wird in Russland seit Jahrzehnten geschürt und hochgezüchtet. Viele Menschen im Westen können sich ein Land nicht vorstellen, in dem alle relevanten Medien vom Staat gelenkt werden und dies über Dekaden hinweg. In Russland bedeutet für ca. 80% der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger die Wahrheit, was ihnen seit je her aus staatlich beeinflussten Kanälen zugeführt wird. Wie diese Wahrheit aussieht, kann man nur erahnen, mit dem Hintergrund eines Regimes, dem es um absoluten Machterhalt geht.
Menschen, welche in unseren Demokratien leben tendieren dazu, Maßstäbe bei der Bewertung der Situation im russischen Staat anzusetzen, welche auf ihrer eigenen westlichen Sozialisierung und den Erfahrungen fußen, wie sie auch einem von demokratischen Werten geprägten Alltag entsprechen. Dazu kommt ein enormes Misstrauen, den eigenen Regierungen gegenüber. Eine Mischung, die zu massiven Fehleinschätzungen führt, was uns auch das Verhalten vieler Menschen während der Pandemie gezeigt hat. Manche waren der absurden Meinung, in einer Diktatur zu leben, geknechtet von einem Machtapparat, entrechtet und Zwängen ausgesetzt. Wer eine derart verblendete Sichtweise auf demokratische Strukturen hat, kann auch zwangsläufig nicht ein notwendiges Verständnis für die Situation in der Ukraine und den Angriffskrieg der Russen erlangen. Das erklärt auch, warum die Schnittmenge zwischen Pandemieleugnern/innen oder -verharmlosern/innen und Putinverstehern/innen so immens groß ist.
Wenn wir nun von dem sprechen, was wir unter Ukrainekonflikt verstehen, geht es nicht nur um einen Krieg, der ein europäischen Land betrifft. Bei diesem Krieg handelt es sich zwar um ein schreckliches, jedoch im Gesamtkontext nur kleines Ereignis, möchte man meinen. Im Verhältnis würde es nur wenige Menschen direkt angehen. In der EU leben knapp 450 Mio. Menschen, knapp über 40 Mio. Einwohner zählt die Ukraine. Direkt vom Krieg betroffen wäre also nur ein sehr geringer Anteil der Europäer. Trotzdem können wir nicht so tun, als ob es Resteuropa nicht betreffen würde. Auch wenn es nur in Teilen des Kontinents zu diesem grausamen Morden kommt. Die Ukraine muss nicht zwingen Mitglied von NATO oder EU werden, um Teil unserer westlichen Wertegemeinschaft zu sein. Es reicht, dass sich die Mehrheit des ukrainischen Volkes zu gewissen Werten bekennt, diese gezielt hochhält und lebt und eben diese Werte, in diesem Falle mit einem großen Teil Europas teilt. Damit ist die Ukraine Teil unseres Europas, ohne Wenn und Aber. Wenn die Ukraine jedoch, genau aufgrund der Tatsache, dass sie sich zu UNSEREN Werten bekennt, angegriffen wird, werden auch wir mit angegriffen. Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine und gleichzeitig gegen unsere Werte, also gegen Europa.
Nun liegt es an uns zuzulassen, ob wir uns dem, was gerade passiert hingeben, oder aber ob wir uns mit aller Entschlossenheit zur Wehr setzen. Da aber stellt sich die Grundsatzfrage, sollen/müssen wir uns zur Wehr setzen? Diese gilt es zu klären. Setzen wir uns nicht zur Wehr, wird die Welt, wie wir sie heute kennen, früher oder später eine andere sein. Ein Blick in den eurasischen Osten reicht, um sich zu vergegenwärtigen, wie eine solche Zukunft aussehen könnte. Wollen wir solche Zustände auch für uns in Europa? Wenn nicht, werden wir uns wehren müssen. Natürlich ist es klar, dass es um Maß und Ziel geht, welche es nun zu definieren gilt. Da jedoch, scheiden sich gerade die Geister.
Es geht darum, mit allen Mitteln einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden. So lautet eines der Hauptargumente der Gegner für Waffenlieferungen an die Ukraine. Der Dritte Weltkrieg jedoch, hat bereits spätestens am 24. Februar 2022 begonnen. Der Angriff der Russischen Föderation auf unsere Demokratie, unsere Werte und die Entschiedenheit (mehr und weniger), mit der wir uns dagegen zur Wehr setzen, ist ein Krieg, an dem viele Staaten der Welt beteiligt sind. Wir müssen uns von den Klischees in unseren Köpfen verabschieden, welche den Dritten Weltkrieg als ein nukleares Inferno zeichnen, das sämtliches Leben auf diesem Planeten ausradiert. Der Dritte Weltkrieg könnte genauso einer sein, der sich auf den Cyberspace beschränkt. In diesem Falle ist der Dritte Weltkrieg einer, den viele westliche Staaten, gegen einen Aggressor aus dem Osten führen. Die Tatsache, dass sich die Kampfhandlungen mehrheitlich auf dem Territorium der Ukraine abspielen, bedeutet nicht, dass andere Staaten nicht involviert sind. Hätte man diesen Krieg jetzt vermeiden wollen, hätte man Russland in seinem Bestreben die Ukraine zu vereinnahmen, gewähren lassen müssen. Wir hätten der Ukraine die Türe zuschlagen müssen und damit Wladimir Putin einen Freibrief überreichen sollen, der ihn in seinem Handeln bestärkt hätte. Eine solche Entscheidung aber wäre uns früher oder später auf die Füße gefallen, ob der Großmachtfantasien des russischen Diktators.
Europa und damit die NATO, haben keine Wahl, als sich im Sinne des Erhalts unserer Weltordnung und den demokratischen Werten, mit aller Kraft gegen die russische Aggression zu stellen. Mit aller Kraft, ganz im Sinne des Wortes. Wenn ein Nichtstun, wie eben argumentiert, nicht in Frage kommt, muss es ein "Allestun" sein. Die Strategie, wie sie seit Kriegsbeginn gefahren wurde, nämlich jene nach dem Motto, "jetzt liefern wir der Ukraine ein paar Waffen und schauen was passiert", sie scheitert. Diese ist es nämlich, die das Leid in der Ukraine in die Länge zieht und tausende Menschenleben fordert. Sind wir nicht gewillt, uns der russischen Aggression zu unterjochen, wird dieser Krieg nur ein Ende finden, wenn Russland eine empfindliche Niederlage davontragen wird. Diese muss das Land so massiv treffen, dass es sich endlich aus dieser Außenseiterrolle befreien kann und ebenfalls Teil unserer Wertegemeinschaft wird. Dies indem ehrliche demokratische Prozesse angestoßen werden, ähnlich jener in der Ukraine im Jahr 2014. Die Ukraine muss umgehend in die Lage versetzt werden, die Grenzen seines Staatsgebietes wieder auf den Status von 2014 zu bringen. Alle dafür notwendigen Maßnahmen müssen sofort getroffen werden. Die Grenze der Ukraine und aller anderen europäischen Staaten mit Russland, sie ist die Grenze zwischen Demokratie und Diktatur. Diese Grenze darf um keinen Zoll westwärts verschoben werden. Heute liegt es an uns, ob wir einer Verschiebung dieser Grenze gen Westen zustimmen. Die direkt davon betroffenen Menschen, haben ihre Wahl getroffen. Heute gehören viele hier im Westen noch nicht zu den Betroffenen. Sie sollten jedoch nicht so lange warten, bis sich daran etwas ändert. Eine Einstellung, welche dazu tendiert einfach wegzuschauen, weil man aktuell nicht zu den unmittelbar Betroffenen zählt, ist nicht nur sehr egozentrisch, sondern auch äußerst kurzsichtig.
Es geht darum, einen Atomkrieg auf jeden Fall zu vermeiden. Ein weiteres Argument jener, die sich vor einer Einmischung des Westens in den Ukrainekonflikt fürchten. Ihre Angst besteht darin, Wladimir Putin könnte sich, mit dem Rücken zu Wand, zu einem solch drastischen Schritt genötigt fühlen. Abgesehen davon, dass es auch in Russland eines komplexen Prozedere bedürfte, um einen nuklearen Erstschlag auszulösen, ist das Argument nicht einfach vom Tisch zu wischen. Sollten Russland die Erfolge in ihrem Krieg gegen die Ukraine versagt bleiben, würde schlussendlich nur noch ein solch drastisches Mittel bleiben, um sich durchzusetzen, um das Gesicht zu wahren. Ist das wirklich so?
Wir können davon ausgehen, dass nicht nur uns bewusst ist, welches die Folgen eines Atomkrieges wären. Bei allem Machtbestreben, es kann nicht die Strategie Russlands sein, sich selbst auszulöschen und die ganze Welt mit in den Abgrund zu reißen. "Russians love their children too", sang Sting 1985. Wir müssen uns vom Klischee des psychopathischen Einzeltäters verabschieden, der, wie es uns so mancher Hollywoodstreifen glaubhaft vermitteln möchte, über die alleinige Macht, über Verderb und Gedeih der Menschheit, verfügt. Russland nutzt jedoch geschickt die Angst der Menschen, vor diesem Szenario und baut entsprechend eine Drohkulisse auf, welche diese Angst noch verstärken soll. Putins Strategie geht auf, wenn wir seinen Drohungen Glauben schenken und uns verhalten, wie die Maus vor der Schlange. Er war von einem Europa ausgegangen, das sich schwach und paralysiert durch dessen Uneinigkeit zeigt. Diesbezüglich hatte er sich gewaltig getäuscht. Genauso spekuliert Putin damit, dass uns die Angst vor einem nuklearen Desaster davon abhalten würde, uns ihm mit aller Kraft entgegenzustellen. Wir sollten ihn auch in diesem Falle enttäuschen.
Welche
Szenarien sind nun möglich? Angenommen es käme zu einem Kompromiss und
dadurch zu einem Frieden. Im besten Fall würde die Ukraine zu einem
Binnenstaat, der Osten und die Regionen am Meer würden Russland
zufallen. Dies würde von russischer Seite eine enorme Bereitschaft zu
Konzessionen bedeuten. Die Ziele von einer "Entnazifizierung" der
Ukraine und einem Rückzug der NATO hinter die Grenzen von 1997, wären
damit mehr als deutlich verfehlt. Warum sollte Russland plötzlich zu
solchen einschneidenden Schritten bereit sein, wo dieser Krieg jahrelang
geplant und vorbereitet wurde? Die Ukraine würde nicht nur einen großen
und wirtschaftlich sehr bedeutenden Teil seines Staatsgebietes abtreten
müssen, auch die dort wohnhaften und westlich orientierten Menschen,
würden sich über Nacht in einer Diktatur wiederfinden. Sollte Russland
tatsächlich in der Lage sein, irgendwann die ganze Ukraine zu besetzen,
würde das ein Umdenken von 40 Mio. Menschen voraussetzen. Es ist schwer
vorstellbar, dass sich das ukrainische Volk in eine russische Diktatur
einfügen lässt. Eine Epoche der Repression, des Widerstandes und der
Gewalt wäre die Folge. Ob das im Sinne jener ist, die "Frieden um jeden
Preis" propagieren? Abgesehen davon, Zugeständnisse jeder Art, würden
von Putin auf der Habenseite verbucht und ihn geradezu weiter anspornen,
die nächsten Schritte zu gehen. Nur zur Erinnerung, Putins Traum ist,
ein russisches Reich von Lissabon bis Wladiwostok
zu errichten. Es gibt Situationen, da müssen Probleme gelöst werden.
Wird keine Lösung angestrebt, wachsen sich diese Probleme früher oder
später zu Katastrophen aus. Das Problem der russischen Annexion der
Krim, wurde als solches ignoriert. Jetzt müssen wir uns mit der
Katastrophe des russischen Angriffskrieges in der Ukraine
auseinandersetzen. Weiter nicht oder nur halbherzig zu reagieren, würde
den Untergang einer Welt bedeuten, in der sich eine Mehrheit der
westlichen Menschen äußerst wohl fühlen. Es muss beherzt und rasch
gehandelt werden und mit schweren Waffen.
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