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Der Verschwörungsdepp ist kein Depp

@RND_de
 

Mit der Informationsflut der wir uns heute stellen müssen, handelt es sich nur um einen jener Effekte, der mit dem globalen Netz einhergeht. Ein weiteres Phänomen bringt die Tatsache mit sich, dass das, was bis vor kurzem noch in überschaubarem Rahmen und hinter verschlossenen Türen stattgefunden hat, nun wächst und an die Öffentlichkeit gelangt. In der Folge fühlen sich manche, die gewisse Gedanken früher eher für sich getragen haben, ohne diese zu formulieren, in ihren Ansichten bestätigt. Heute können sie sich vernetzen und in der Masse empfinden sie ihre kranken Vorstellungen als normal und legitim. Da werden Argumente ausgetauscht, der eine bestärkt den anderen, was einst in kleinen Clustern stattfand, wie etwa an Stammtischen, vernetzt sich und wird zum Flächenbrand. Unsere Demokratie zeichnen u.a. Toleranz und die Freiheit aus, seine Meinung öffentlich kundtun zu dürfen, ist diese auch noch so verschroben. Gleichzeitig stellt dies jedoch auch eine Schwäche dar, denn gerade dieses demokratische System macht sich dadurch angreifbar.

Unser Bildungssystem ist nicht darauf ausgelegt, gegen "Parallelwissen" anzugehen. Ursprünglich sollte uns Wissen vermittelt werden, mit dem ein differenziertes und vernetztes Denken möglich sein würde. Wissen jedoch wird immer unpopulärer, da man sich im Notfall fast alles ergoogeln kann. All unsere Entscheidungen, ob groß oder klein, treffen wir vielfach spontan und diese fußen auf dem, was wir uns vorher an Wissen angeeignet haben. Seltener vertiefen wir uns in eine Materie, bevor wir agieren. Je weniger der Mensch weiß, desto anfälliger ist er auch für Scheinargumente, die logisch klingen mögen, jedoch absolut falsch sind. Hinzu kommt die grundsätzliche Bequemlichkeit, welche uns Menschen zu eigen ist. Kaum jemand ist bereit zu verzichten oder sein eigenes Verhalten, seine Gewohnheiten zu ändern. Wir stellen das fest, wenn es etwa um Klimaschutz geht, Migration oder gerade um den Kampf gegen die Coronapandemie. Es macht unser Leben leichter, wenn wir das Virus und seine Folgen als Grippe abtun oder den CO2-Ausstoß nicht als einen klimaverändernden Faktor anerkennen. Da ist es einfacher zu sagen, Afrikaner sind an ihrem Schicksal selbst schuld, weil unfähig, faul usw. als dass man sich Informationen darüber besorgt, wie mit diesem Kontinent und seinen Bewohnern seit Jahrhunderten umgegangen wird, welche Ausbeutung etwa immer noch stattfindet.

Wer wenig weiß, der muss viel glauben. In einer Welt, die so komplex ist wie nie zuvor, ist man somit jenen Stimmen ausgeliefert, die mit simplen Lösungen aufwarten. Die meisten Menschen, wie wir sie heute etwa auf den Straßen gegen die Coronamaßnahmen protestieren sehen, sind nicht dumm, sondern verloren. Es fehlt ihnen die Fähigkeit zwischen jenen Informationen zu unterscheiden, die richtig und relevant und den anderen, die schlicht falsch sind. Es mangelt ihnen am Vermögen, Zusammenhänge korrekt herzustellen. Sie sind damit vollkommen überfordert und dies in einem Maße, dass sie dankbar jedes Wort aufnehmen, das sie in ihrem Denken bestätigt und kommt es von noch so einem großen Idioten. Man nennt das in der kognitiven Psychologie Bestätigungsfehler (confirmation bias). All das gab es früher auch schon, etwa in der Nazizeit. Nur heute tritt dieses Phänomen global auf, mit einer nie gekannten Wucht und Geschwindigkeit.

Wenn wir also weiterhin Bildung und Schulsystem vernachlässigen und/oder es ausschließlich dazu nutzen, Humankapital für die Wirtschaft heranzuzüchten, werden wir in einem Heer von Hohlköpfen umkommen. Wir müssen uns sehr gezielt mit den Veränderungen auseinandersetzten, welche es hauptsächlich in den letzten zwanzig Jahren gegeben hat, unser Bildungssystem entsprechend anpassen. Auf den Impakt, den die Digitalisierung auf den Menschen hat, mit all ihren Folgen, muss endlich umfassend reagiert werden. Dies kann mit einem Schulsystem, das seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat und seit damals nur marginal angepasst wurde, nicht gelingen. Wie die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert die Wissensvermittlung auf den Kopf gestellt hat, mindestens genauso immens, beeinflusst die Digitalisierung das Leben der Menschen heute. Das muss uns bewusst sein, darauf müssen wir reagieren und zwar schnell.

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