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Eigenverantwortung

 Als ich diesen Tweet formuliert hatte, in dem ich die so viel geforderte «Eigenverantwortung» an den Pranger stellte, kam es zu Reaktionen, die mir aufgezeigt haben, wie missverständlich Worte doch interpretiert werden können. Es handelt sich bei «Eigenverantwortung» um ein Schlagwort, das sich in Zeiten von Corona in aller Munde befindet. Da sind zum einen jene, die sich von den Obrigkeiten nicht gängeln lassen wollen, deren Existenz eventuell durch die von Regierungen getroffenen Maßnahmen auf dem Spiel steht. Es gibt die Leugner, die immer noch nicht wahrhaben wollen, dass wir einem äußerst außergewöhnlichen Phänomen gegenüberstehen, das entsprechende Reaktionen voraussetzt. Diese Gruppen wünschen sich die Freiheit, selbst darüber entscheiden zu können, was sie zu tun und zu lassen haben. Oft wird dabei jedoch vergessen, dass Dritte eventuell vom Freiheitsdrang oder der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Überlebens eines anderen, Schaden nehmen könnten. An all jene jedoch war mein Text nicht gerichtet.  

Es gibt eine weitere Gruppe von Menschen, die immer und immer an die Eigenverantwortung der Menschen appellieren und an sie war eigentlich die in meinem Tweet implementierte Kritik gerichtet, das sind Politiker. Diese nutzen das Wort «Eigenverantwortung» um vom eigenen Versagen abzulenken. Mit «Eigenverantwortung» ist natürlich die Verantwortung für das eigene Handeln gemeint. Was mich persönlich daran stört ist, dass es sich bei der Pandemie nicht etwa um ein Phänomen handelt, das in dieser Form nicht vorhersehbar war. Im Gegenteil, dass es irgendwann zu diesem Szenario kommen musste, war uns absolut bewusst, denn lange hatten Experten davor gewarnt. Trotzdem hatte man kaum Vorkehrungen getroffen, im Gegenteil, man hat einem solchen Ereignis Tür und Tor geöffnet. Jetzt vom Bürger zu erwarten, dass er Verantwortung übernimmt, klingt fast wie Hohn. Richtiger wäre, an die Vernunft zu appellieren, bzw. an die Menschlichkeit. Bitte seid so vernünftig und haltet Abstand, nehmt das Opfer des Maskentragens auf euch und wascht euch eure Hände regelmäßig und oft. Tut dies, auch wenn ihr nicht zur Risikogruppe zählt, zwar deshalb, damit euer Nächster nicht umkommt. Tut dies so lange, bis es einen Impfstoff und/oder eine Therapie gegen das Virus gibt, bis man sich über Folgeschäden einer Infektion im Klaren ist. So in etwa sähe für mich der richtige Weg aus. 
 
Wir befinden uns jedoch in einer dermaßen prekären Situation, dass es ohne den Bürger und dessen Mithilfe nicht mehr zu gehen scheint. Was mich daran wütend macht ist, dass das Leben von Menschen buchstäblich fahrlässig dem Wohlwollen von anderen ausgesetzt wird. Sicher ist es falsch pauschal den Bürger für dumm zu erklären. In diesem Falle reicht es jedoch, wenn sich ein kleiner Prozentsatz aus purer Ignoranz nicht an die Regeln hält. Und man muss Menschen, die sich verantwortungslos verhalten, nicht zwangsläufig zu Idioten erklären. Es gibt zig andere Gründe, die Menschen zu rücksichtslosen Egoisten machen.
Nun, das Versagen von Politikern hat uns alle in eine Abhängigkeitssituation gebracht. Abhängig davon, dass unsere Mitmenschen der außergewöhnlichen Situation den gebührenden Respekt entgegenbringen. Was uns im Moment nämlich sehr plastisch vor Augen geführt wird ist, dass es eben nicht funktioniert, sich auf die sogenannte Eigenverantwortung zu verlassen. Zu viele haben das Übertragungsprinzip dieses Virus noch nicht verinnerlicht. Um dies festzustellen, dazu braucht man wahrlich kein Experte zu sein. Ein Blick in unsere Innenstädte reicht.
  
Nun, wenn ich behaupte, dass «Eigenverantwortung» nicht die Lösung für dieses offensichtliche Problem darstellt, bedeutet es im Umkehrschluss nicht, dass Zwänge die einzige Rettung seien. Solange es weder Impfstoff noch Therapeutikum gibt, bedarf es wohl ein Bündel an Maßnahmen, um der Situation Herr zu werden. So gilt es etwa Strukturen und Prozesse, den Bedürfnissen anzupassen. Warum soll es nicht funktionieren, Menschen auf Skipisten zu lassen, wenn man die Einstiege zu Aufstiegsanlagen entsprechend anpasst, in einer Form, die Menschenströme entsprechend lenkt, dass kein Infektionsrisiko besteht? Hier ist Kreativität gefragt und man wird Geld in die Hand nehmen müssen. Vieles könnte so weiterhin stattfinden, indem man Menschen konsequent auf Abstand hält, für Durchlüftung sorgt und Oberflächen regelmäßig und konsequent desinfiziert. 
 
Im Übrigen ist es so oder so höchste Zeit, dass wir diesen Prozess des Umbaus endlich angehen, weil er längst überfällig ist. Denn all diese Maßnahmen, die eine Infektion vor Covid-19 verhindern, bewirken gleichzeitig, dass wir uns vor zig anderen Erregern gleichermaßen schützen. Die aktuelle Krise bewirkt, dass wir unsere Gesellschaft umstellen, zum Wohle aller. Was wir über Jahre hätten sukzessive können aufbauen und anpassen, muss jetzt auf die harte Tour erfolgen. Das tut natürlich weh, nur es muss sein. Und Eigenverantworten mag auch ein Aspekt sein von vielen. Nur muss man die Menschen erst darauf vorbereiten Verantwortung zu übernehmen und sie entsprechend bilden. In der aktuellen Situation zur Eigenverantwortung zu mahnen ist wie, wenn man Menschen bei einem Vollbrand animiert, ins Feuer zu spucken.Es funktioniert schlich nicht. Und nein, ich habe keine Angst und ich finde es gleichzeitig lächerlich, wenn Menschen von sich sagen, sie würden keine Angst vor Covid-19 haben. Darum geht es nämlich gar nicht. Jene Rüpel die in illegalen Straßenrennen Menschenleben mutwillig aufs Spiel setzen, sie haben auch keine Angst. Legitimer wird deren Verhalten dadurch nicht. 

Stay negativ!

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