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Flüchtlinge sind krimineller als Einheimische

Ein Statement, das schon im Grundsatz zu einer präziseren Betrachtungsweise zwingt. Was bedeutet eigentlich „kriminell“ bzw. von welcher Art Kriminalität ist die Rede? Kriminalität an und für sich ist ein schwammiger Begriff. Wer tiefer in dieses Thema eintauchen möchte, findet hier Informationen. Im Grossen unterscheidet man zwischen Alltagskriminalität, Kleinkriminalität, Kavaliersdelikten, Schwer- und Schwerstkriminalität, Straßenkriminalität, Wirtschaftskriminalität, Umweltkriminalität, um die wichtigsten aufzuzählen. Innerhalb dieser einzelnen Felder gab und gibt es immer wieder Veränderungen, etwa durch Gesetzesanpassungen. Beispielsweise Delikte, welche heute strafbar sind, waren bis zu einem bestimmten Datum nicht bekannt und somit nicht zu ahnden (z.B. Datendiebstahl). Oder aber im umgekehrten Sinne waren gewisse Taten strafbar, sind es heute nicht mehr (z.B. in gewissen Ländern ist aktuell der Besitz von leichten Drogen für den Eigengebrauch nicht mehr strafbar). Werden nun Statistiken nebeneinander gestellt, wobei eine vor und die andere nach einer Gesetzesänderung erstellt wurde, muss man diese Tatsache berücksichtigen. Gerne aber werden solcherlei Details vernachlässigt, je nach dem, für welchen Zweck eine Erhebung missbraucht werden soll. 
Flüchtlinge seien krimineller als Einheimisch ist eine Aussage, welche eben oft durch Statistiken untermauert und sogar von Ministern getan wird, ohne diese jedoch analytisch zu betrachten. Interessanterweise werden Statistiken ausschließlich immer dann in Frage gestellt, wenn deren Resultat wider die eigene Weltanschauung geht. Grundsätzlich sind bei der Anwendung von Statistiken immer zwei Aspekte einzubeziehen. Zum einen, wie wurde diese Statistik im Detail und vom wem erstellt. Zum anderen, wie kann man die aufbereiteten Daten richtig interpretieren. In der Regel stammen Daten von Kriminalstatistiken aus Berichten der Exekutive, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz so genannten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Das italienische Equivalent heisst ISTAT (Istituto nazionale di statistica). Tatumstände, Tatverdächtige, Opfer und eventuelle Schäden werden erfasst. Was wenigen bewusst scheint, man muss in Bezug auf kriminelle Taten zwischen Hellfeld und Dunkelfeld unterscheiden. Unter Hellfeld versteht man jenen Ausschnitt des gesamten Kriminalitätsgeschehens eines Landes in einem bestimmten Zeitraum, der offiziell bekannt und registriert wird. Nicht registrierte kriminelle Straftaten werden als Dunkelfeld bezeichnet. Zum einen ist die Relation von Hell- und Dunkelfeld nie konstant und zum anderen variiert die Dunkelziffer je nach Delikt. Die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung und damit die Grösse des Hellfelds hängt von mehreren Faktoren ab, wie beispielsweise Schwere des Delikts, Vertrauen in die Polizei, Schamgefühl der Opfer, Sensibilisierung der Bevölkerung usw. Mehr zum Thema Hell- Dunkelfeld findet sich auf der Wissensplattform Lecturio
Somit versteht sich von selbst, dass es bezüglich der Relation zwischen Hell- und Dunkelfeld sehr leicht zu Verschiebungen kommen kann. Beispielsweise kann angenommen werden, dass sich die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung erhöht, wird diese von gewissen Institutionen gefördert. Konkret, werden Flüchtende pauschal von Populisten als Kriminelle, Sozialschmarotzer, Vergewaltiger usw. stigmatisiert, steht die Bevölkerung Fremden mit grösserem Argwohn gegenüber und die Anzeigebereitschaft steigt. Bei der Exekutive lassen sich die Auswirkungen insofern feststellen, als dass Menschen mit fremdländischem Aussehen bei Kontrollen bevorzugt werden. In der Fachsprache hat sich dafür der Ausdruck racial profiling etabliert. Wo mehr kontrolliert wird, ist die „Ausbeute“ entsprechend höher. Daraus lässt sich leicht ableiten, dass Migranten, welche äußerlich nicht dem mitteleuropäischen Durchschnittsbürger entsprechen, verstärkten Kontrollen ausgesetzt sind. 
Ein sehr wichtiger Aspekt, der in Zusammenhang mit kriminellen Handlungen von Menschen steht, ist die Betrachtung der Umstände, unter denen eine Tat passiert. Grenzen wir dabei das Feld der Täter auf die angesprochenen Geflüchteten ein, dann lässt sich unbestritten folgendes feststellen. Es handelt sich um eine Menschengruppe, deren Leben aus den Fugen geraten ist und zwar in mehrfacher Hinsicht. Der Schritt des Verlassens des gewohnten sozialen Umfelds, warum auch immer, erfordert eine immense Kraftanstrengung und bedeutet ein einschneidendes Erlebnis im Leben eines Menschen. In der Regel sind der Entscheidung zur Flucht zumindest ein, in der Regel aber mehrere traumatisierenden Erlebnisse vorangegangen. Viele Menschen haben massive Todesängste ausstehen müssen oder aber ein Leben unter enormen Existenzängst fristen müssen. Einmal physisch den Sprung auf europäischen Boden geschafft, heisst noch lange nicht in Sicherheit zu sein. Diese Menschen erwartet oft ein Klima des Misstrauens, der Missgunst und der Verachtung. Zwar befinden sie sich in Sicherheit, jedoch vielfach ist die Ruhe trügerisch, droht vielen wieder die Abschiebung in jene Welt, aus der sie eben erst geflohen waren. Was bedeutet, sie leben unter grossem Druck und ohne jegliche Perspektive. Auch die Lebensumstände, mit denen viele Geflüchteten in ihrer neuen Welt zurechtkommen müssen, bieten keinen Anlass für Optimismus. Vielfach müssen sie Monate oder gar Jahre in Sammelunterkünften ein unwürdiges Dasein fristen. Menschen aus verschiedensten Ländern, Kulturen mit unterschiedlichen Religionen, Mentalitäten und Sprachen werden auf engstem Raum konzentriert und müssen für lange Zeit ein Auskommen miteinander finden. Spannungen in solch einem Umfeld sind vorprogrammiert. Wenn sich diese auf die eine oder andere Weise entladen, kommt es zu Handlungen, welche später dann als kriminell in die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik einfließen. Weiter lässt sich nachvollziehen, dass bei Menschen, welche für einen längeren Zeitraum in der Perspektivlosigkeit, ohne konkrete Aussicht auf Verbesserung der eigenen Lebenssituation vegetieren müssen, das Rechtsempfinden nicht unbedingt im Vordergrund steht. Von politischer Seite her scheint sich diesbezüglich kaum etwas zum Besseren zu wenden. Im Gegenteil, Migranten wird die von allen Seiten geforderte Integration in unsere Welt immer schwerer gestaltet, einige Länder kürzen massiv Leistungen, welche diesen Menschen ein annähernd würdiges Leben ermöglicht und reduziert diese auf das, was kein Mensch anstrebt zu sein, nämlich ein im besten Falle geduldeter Klotz am Bein der Wohlstandsgesellschaft. Der Trend jedoch geht dahin, das Problem ausserhalb unseres Kontinents im wahrsten Sinne des Wortes zu entsorgen, nach dem Motto, aus den Augen, aus dem Sinn. Populisten mehrerer europäscher Länder versuchen uns eine Lösung zu verkaufen, die Abkommen mit Transitländern, etwa in Nordafrika suggerieren, welche Geflüchtete an einer Weiterreise nach Europa hindern und diese in Lagern zurückhalten sollen. Gekoppelt wird das Ansinnen mit der zur Floskel verkommenen Aussage „bekämpfen der Fluchtursachen“. 
Dies also ist die Basis auf der Menschen ihren Alltag aufbauen, von denen man Integration bedingt und Dankbarkeit erwartet. Vollkommen paradox, denn abgesehen von den Umständen unter denen sie bei uns leben müssen, liegt die Ursache, die einen Großteil der Menschen zur Flucht zwang, ebenfalls bei uns. 

Flüchtlinge sind krimineller als Einheimische verkommt somit zu einer Aussage, deren Inhalt an Zynik kaum zu überbieten ist. Man kann also zusammenfassend sagen, dass absolut nichts dies Statement untermauert, wenn man die Umstände betrachtet, unter welchen Geflüchtete leben müssen, wenn man sich die Entstehung und Aussagekraft von Erhebungen genauer ansieht und wenn man sich der Macht vergegenwärtigt, mit der Populisten dieses Phänomen instrumentalisieren.

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